„Minus 30 Grad. Gemütlich geht anders. Aber ich bin eine Abenteurerin und mag es, mich diesen Extremen auszusetzen“, äußert Christina Biasi, eine Biologin, die bereits während ihrer Forschungstätigkeit einen Monat in der beißenden Kälte der russischen Tundra verbracht hat. Sie hat insgesamt 19 Jahre an der Universität von Ostfinnland in Kuopio gearbeitet. Diese Stadt mit 125.000 Einwohnern ist vor allem für ihren Aussichtsturm auf einem der wenigen Anhöhen und eine beeindruckende Skisprunganlage bekannt. Abgesehen davon gibt es viel Natur, wenige Siedlungen, weitläufige Seen und ein diffuses Licht.
Förderung für Forschungsprojekte in Tirol
In naher Zukunft wird Biasi wieder häufiger in dieser Landschaft anzutreffen sein, da sie einen ERC Synergy Grant aus dem „Horizon Europe“-Programm der EU erhalten hat. Zusammen mit Kollegen aus Schweden, Frankreich und Großbritannien hat sie das Forschungsprojekt „Climpeat“ ins Leben gerufen, das sich mit den nördlichen Moorgebieten im Kontext der Klimaänderung und abrupten Veränderungen beschäftigt. Dieses Vorhaben wird insgesamt mit 12,5 Millionen Euro gefördert, davon gehen 4,3 Millionen nach Tirol.
Studie über die Auswirkungen des Klimawandels
Das Team wird die Auswirkungen des Klimawandels auf nördliche Torfmoore analysieren, von denen etwa die Hälfte unter Permafrost liegt. Dies umfasst auch den Rückkoppelungseffekt. Einerseits wird das Auftauen des Permafrosts beobachtet; andererseits wird untersucht, wie die dadurch freigesetzten Treibhausgase wie Methan und Kohlendioxid die globale Erwärmung beeinflussen können. Wenn der gefrorene Boden taut, ändern sich Wasserversorgung, Vegetation und Mikrobiologie innerhalb kurzer Zeit. „Wir können daher nicht nur mit langsamen Veränderungen rechnen, sondern auch mit schnellen und abrupten, die die Treibhausgasemissionen innerhalb weniger Jahre erheblich erhöhen können“, erklärt die Ökologin.
Einzigartiges Experiment in Lappland
In Lappland wird das internationale Forschungsteam ein bisher einzigartiges Feldexperiment durchführen: Eine fast zwei Hektar große Fläche Permafrostmoor wird gezielt aufgetaut. „Dazu pumpen wir Wasser aus nahegelegenen Seen auf die Fläche, um die Wärmeleitung zu erhöhen“, erläutert Biasi. Die gewonnenen Daten sind so bedeutend, dass der Eingriff in den natürlichen Kreislauf genehmigt wurde. Die lokalen Rentierzüchter wurden konsultiert und die Schaffung von Ausgleichsflächen an einem anderen Ort zugesichert, um Verlust von Flora und Fauna zu vermeiden. Der Genehmigungsprozess durch die Ethik-Kommission dauerte jedoch ein Jahr.
Entwicklung von Treibhausgas-Emissionen
Im Testareal kann nun erstmals in einem realen Setting untersucht werden, wie sich die Emissionen von Kohlendioxid, Methan und Lachgas entwickeln, sobald der Permafrost verschwindet. Biasi, die an der Universität Wien promovierte, schaut gespannt in die Zukunft: „Wir wissen, dass Bodenkohlenstoff verloren geht; da wir jedoch nicht in der Lage sind, diesen Prozess genau zu messen, wissen wir nicht, wohin der Kohlenstoff geht und ob er durch einen einmaligen Impuls oder durch Auswaschungen verloren geht.“
Forschung zu Distickstoffmonoxid
Zusätzliche Erkenntnisse erhofft sich das Team auch im Hinblick auf Distickstoffmonoxid (N2O, Lachgas). Biasi veröffentlichte bereits 2009 die erste wissenschaftliche Arbeit zu hohen N2O-Emissionen aus der Arktis, basierend auf Messungen von Gasströmen. Die Annahme, dass gefrorene Böden stickstofflimitierend wirken, wurde dadurch revidiert. In exponierten arktischen und tundrales Standorten wird Lachgas sogar in teils sehr hohen Raten freigesetzt. Diese Dynamiken wurden durch den Klimawandel zusätzlich beeinflusst.
Treibhausgase und biogeochemische Prozesse
Im Rahmen des aktuellen Forschungsprojekts werden somit alle Treibhausgasemissionen und Stoffflüsse über mehrere Jahre erfasst. In Innsbruck werden zudem Laborexperimente mit Bodenproben durchgeführt, um zu klären, wie Mikroorganismen auf Temperatur- und Feuchteänderungen reagieren und welche biogeochemischen Prozesse die Emissionen antreiben. Das Projekt ist auf sechs Jahre angelegt, und die daraus gewonnenen Einsichten sollen in digitale Klimamodelle einfließen. Künstliche Intelligenz wird dabei helfen, signifikante Systemsimulationen für verschiedene Regionen zu erstellen. „Diese Modelle können unter anderem auch für die Alpenregion angewendet werden“, sagt Biasi.
Statistische Einsichten
Die Fakten sind beeindruckend: 21 Millionen Quadratkilometer oder 22 Prozent der Landmassen auf der Nordhalbkugel sind von Permafrost betroffen. Davon entfallen 10,7 Millionen Quadratkilometer auf Gebiete mit zusammenhängendem Permafrost, wie in Sibirien, Kanada und Alaska. In Österreich beträgt die Fläche, die von einem ganzjährig gefrorenen Untergrund mit saisonaler Auftauschicht betroffen ist, 2,5 Prozent, was etwa 3150 Quadratkilometern der Alpen entspricht. Schätzungen besagen, dass bis zum Jahr 2100 80 Prozent des Permafrosts in den nördlichen Moorgebieten verloren gehen könnten, was zu Emissionen führen könnte, die mit denen von China oder den USA vergleichbar sind.
Wachsendes Bewusstsein für Permafrostregionen
Biasi hofft, dass das Projekt dazu beiträgt, dem Permafrost in der Klimaschutzdebatte mehr Beachtung zu schenken. „Andere Ökosysteme sind im öffentlichen Bewusstsein viel präsenter, da die Effekte des Klimawandels dort offensichtlich sind“, merkt sie an. „Für Permafrostregionen hingegen fehlen wirtschaftliche Interessen“, vergleicht sie. Derzeit berücksichtigen Klimamodelle die Torfmoore dieser Breiten nur unzureichend. Oft wird von falschen Annahmen ausgegangen, beispielsweise dass Böden bei höheren Temperaturen mehr Kohlenstoff speichern können.
Kipppunkte im Klimawandel
Biasi weist darauf hin, dass die Temperaturen in arktischen und subarktischen Regionen deutlich schneller steigen als im globalen Durchschnitt. In den letzten fünfzig Jahren stiegen die Temperaturen dort um etwa drei Grad. „Bis zum Ende des Jahrhunderts könnten es bis zu zehn Grad sein“, prognostiziert sie. Erste Berechnungen zeigen, dass Veränderungen in nördlichen Torfmooren bis 2100 zu einem zusätzlichen Temperaturanstieg von rund 0,6 Grad führen könnten. Dies könnte mehr als ein Viertel dessen ausmachen, was global zu vermeiden versucht wird.
„Wenn wir diese Effekte ignorieren, unterschätzen wir die Dynamik der globalen Erwärmung erheblich“, warnt Biasi und bemerkt: „Wir könnten bald einen Kipppunkt erreichen.“ Dennoch hat sie die Hoffnung auf eine positive Wende nicht aufgegeben: „Wenn jeder etwas tut, können wir den Klimawandel noch verlangsamen.“











